Wie stark belastet Video­streaming die Umwelt?

Immer wieder hört und liest man, Videostreaming sei ein Umweltproblem. Was ist da dran?

Autor:in: Beat Glogger, Higgs

Kürzlich erwähnte ich in einer Runde einen Film, den ich auf Netflix gesehen hatte. Prompt reagierte eine ökologisch bewusste Freundin. Zum Film hat sie sich zwar nicht geäussert, fand aber Streaming prinzipiell daneben. Es sei sehr umweltbelastend, meinte sie. Und sie behauptete auch, herkömmliches Fernsehen sei im Vergleich zum Streaming wesentlich umweltfreundlicher.

Ich wollte nicht über die Attraktivität oder Qualität von klassischem Fernsehen versus Streaming diskutieren. Beschloss aber, der Energiefrage nachzugehen.

Bei dieser Recherche stösst man auf unzählige Storys, die belegen wollen, wie unsäglich hoch der Stromverbrauch von grossen Anbietern wie Netflix, Google und Amazon sei. So geistert im Netz zum Beispiel die Zahl herum, dass Google im Jahr 2015 einen Stromverbrauch von 5,7 Terawattstunden gehabt habe. Das entsprach damals dem Energiekonsum der Stadt San Francisco.

Tatsache ist aber, dass niemand weiss, wie hoch der Stromverbrauch der Informatik weltweit ist. Denn dies ist sehr schwer zu ermitteln. Im Gegensatz etwa zum Verbrauch im Verkehr. Denn hier ist bekannt, wie viel Treibstoff verkauft wird, wie viele Autos unterwegs sind und wie viele Kilometer ein Fahrzeug pro Jahr im Durchschnitt fährt. Daraus lässt sich der Energieverbrauch des Verkehrs ziemlich genau errechnen. Für die Informatik und Kommunikationsbranche (ICT) fehlen präzise Zahlen.

Gemäss einer Schätzung des französischen Think Tanks «The Shift Project» ist die Informatik für etwa vier Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Tendenz stark steigend.

Und das Streaming? Von den weltweit übertragenen Daten sind – wieder gemäss Schätzungen – rund achtzig Prozent Videoinhalte. Dazu ein kleiner Fun Fact: Die Videodaten teilen sich auf wie folgt: Ein Viertel kommt von Video on demand, wie es zum Beispiel Netflix und Amazon Prime anbieten. Ein weiterer Viertel von Youtube, ein Viertel von den Social Media – und ein Viertel von Plattformen mit Pornos. Allein Porno-Inhalte waren im Jahr 2018 für achtzig Millionen Tonnen CO₂ verantwortlich. Das entspricht dem Ausstoss von Frankreich, oder 0,2 Prozent vom globalen CO₂-Ausstoss.

Wobei es für eine ökologische Beurteilung irrelevant ist, was man schaut. Relevant ist der Energieverbrauch beziehungsweise der Treibhausgasausstoss durch die Rechenzentren, die Übertragungsnetze und die Endgeräte.

Rechenzentrum und Übertragungsnetz im Vergleich zum Endgerät nicht relevant

Den weitaus geringsten Umwelteffekt haben die Übertragungsnetze. Auch das Rechenzentrum spielt in der Gesamtbilanz eine eher geringe Rolle. Weitaus am wichtigsten ist der Faktor Endgerät.

Grafik: higgs.ch | Weltweite Treibhausgas-Emissionen im Jahr 2020 in Millionen Tonnen CO₂. Quelle: Borderstep Institut

Zuerst werfen wir trotzdem einen genaueren Blick auf die Netze. Denn darum ging es ja in dem Vorwurf meiner Freundin.

Ökologisch am besten schneidet gemäss einer Studie des Deutschen Umweltbundesamtes das Glasfasernetz ab. Es belastet die Umwelt 45-mal weniger als die Übertragung auf dem 3G-Netz (UMTS). Wobei das ja kaum jemand noch nutzt. Deutlich besser ist das heute übliche 4G-Netz: es verursacht aber noch siebenmal so viel Treibhausgase wie das Kabel. Noch besser ist 5G: Es belastet das Klima nur noch zweieinhalbmal so stark wie das Kabelnetz.

Grafik: higgs.ch | Treibhausgasemissionen des Videostreaming in HD-Qualität im Rechenzentrum und auf dem Übertragungsweg. Angaben in Gramm CO₂ pro Stunde Video. Quelle: Umweltbundesamt.

Aber wie gesagt: Netze spielen in der ökologischen Beurteilung wie die Rechenzentren eine untergeordnete Rolle. Viel mehr ins Gewicht fallen die Endgeräte.

Also, wie ich einen Film anschaue: Fernsehgerät, Laptop, Tablet oder Smartphone. Das ist entscheidend. Es spielt sogar eine Rolle, ob mein Fernseher 65 Zoll misst oder fünfzig. Der kleinere verbraucht nur gut die Hälfte an Energie. Deutlich sparsamer sind Notebook und Tablet. Und das Smartphone kann man bezüglich des Energieverbrauchs praktisch vergessen. Wobei es sich bei den mobilen Geräten natürlich empfiehlt, wenn möglich über WLAN ins Kabelnetz zu gehen. Und nicht über das Funknetz zu streamen.

Grafik: higgs.ch | Energiebedarf von Videostreaming. Quelle: Borderstep Institut.

Aber meine Freundin hatte ja das Streaming generell im Visier. Ist denn wenigstens SRF gucken umweltfreundlicher als netflixen?

Fehlanzeige. Auch hier spielt der Energieverbrauch des Endgeräts die grösste Rolle.

Wie nutzt man Streaming noch umweltfreundlicher?

Über den Unterschied von Streaming oder Fernsehen muss man sich also bezüglich der Umweltbelastung nicht gross Gedanken machen. Viel wichtiger ist, das richtige Gerät einzusetzen.

Und es gibt noch ein Rezept, um seinen Videokonsum mehr oder weniger umweltfreundlich gestalten: weniger oft ein neues Gerät kaufen. Denn weitaus die grösste Klimabelastung verursacht das Gerät bei seiner Produktion und dem Transport zu der Kundschaft. Bei einem Smartphone zum Beispiel sind es neunzig Prozent. Nur gerade zehn Prozent werden durch den Gebrauch verursacht, wie ein Video des Shift Projects schön erklärt. Das heisst: Wenn du dein Telefon nicht schon nach zwei Jahren durch ein neues ersetzt – so wie es die meisten tun – sondern erst nach dreien, hast du dessen Klimabilanz schon um fünfzig Prozent verbessert.

Und eine noch viel grössere Rolle spielt, woher die Energie stammt, mit der das Gerät produziert und natürlich auch betrieben wird. Klar: keine fossilen Energieträger. Und bei deinem Stromversorger möglichst Ökostrom kaufen. Dann kannst du so viele Videos streamen, wie du willst.

Aber am wenigsten Energie verbrauchst du, wenn du auch mal auf einen Waldspaziergang gehst.

Weiterführende Literatur: CO₂-Emission durch ICT

Zur Beurteilung der Klimaverträglichkeit von Informatik und Telekommunikation ist auch gemäss einer Studie der Universität Zürich in Kooperation mit WWF und Swisscom die Wahl des Endgeräts der entscheidende Faktor.

Dieser Beitrag erschien erstmalig auf higgs.ch.